Die Autorität der Wissenschaft

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(Erwei­terte Fas­sung des Tage­blatt Arti­kels vom 2. April 20201)

„Eine Sache kann und darf die Wis­sen­schaft nicht und hat die Wis­sen­schaft nicht, näm­lich die Wis­sen­schaft hat kein demo­kra­tisches Man­dat. Ein Wis­sen­schaft­ler ist kein Poli­ti­ker, der wurde nicht gewählt und der muss nicht zurück­tre­ten.“ (Chris­tian Dros­ten, NDR Coro­na-Pod­cast, Sen­dung vom 30. März 2020)

„Die Richt­li­nien der Kon­trolle müs­sen von Wis­sen­schaft­lern ent­wor­fen wer­den.“ (Bur­rhus Fre­de­ric Skinner)

Was der wohl bekann­teste Viro­loge Deut­schlands hier so ein­drucks­voll aus­for­mu­liert ents­pricht zwar einer­seits der – auch unter Wis­sen­schaft­ler – gemein­hin kur­sie­rende Über­zeu­gung von der poli­ti­schen Neu­tra­lität der Wis­sen­schaf­ten. Auf der ande­ren Seite hal­ten sich aber die Wis­sen­schaft­ler gewöhn­lich nicht an ihr wis­sen­schafts­theo­re­tisches und ethisches Selbst­verständ­nis. Das sehen wir auch bei der jet­zi­gen Pan­de­mie wie­der sehr ein­drucks­voll : nicht nur Viro­lo­gen, Epi­de­mio­lo­gen, Medi­zi­ner und Sta­tis­ti­ker emp­feh­len sich der Poli­tik ein­drü­ck­lich mit der nöti­gen fachli­chen Bes­chei­den­heit des Bera­ters, son­dern auch Psy­cho­lo­gen mel­den sich jetzt unvo­rher­ge­se­hen zum Dienst an der media­len Front. 

Selbst­verständ­lich hät­ten wir uns seit meh­re­ren Jahr­zehn­ten schon an Katas­tro­phen, Unglücke und Kri­sen gewöh­nen kön­nen : ter­ro­ris­tische Bedro­hun­gen, end­lose Finanz- und Wirt­schafts­kri­sen, poli­tische Kri­sen, Kli­ma­kri­sen, Gesund­heits­kri­sen und Pan­de­mien, die „Natur­ka­tas­tro­phen in Zeit­lupe“, schei­nen unser tägliches Leben fast unaufhör­lich zu erschüttern. 

Aber wie kön­nen wir uns an diese paroxys­ma­len Momente gewöh­nen, wo sich die Dinge, ents­pre­chend der medi­zi­ni­schen Meta­pher der „Krise“, auf eine Ver­bes­se­rung des Kran­kheits­ver­laufs oder auf den Tod zu bewe­gen ? Wie soll es möglich sein die­sen andauern­den Zwi­schen­raum zwi­schen Leben und Tod zu bewoh­nen ? Und wie gewöh­nen wir uns an die unaufhör­liche Ang­st und den Schre­cken vor den nicht enden wol­len­den Katastrophen ? 

Es ist daher nicht über­ra­schend, dass eine immer wach­sende Zahl von wirt­schaft­li­chen, poli­ti­schen und wis­sen­schaft­li­chen „Ärz­ten“ sich beru­fen füh­len, auf die For­de­rung nach Siche­rheit zu ant­wor­ten. Jede neue Krise setzt uns zur glei­chen Zeit einer neuen Welle von Exper­ten aller Art aus, die sich dazu auserwählt füh­len, an unse­rer Stelle und zu unse­rem Wohl die not­wen­di­gen Ent­schei­dun­gen („kri­nein“, auf Alt­grie­chisch) zu treffen. 

Poli­tisch wird die Situa­tion spä­tes­tens dann fast voll­stän­dig undurch­sich­tig, wenn der mit den Kri­sen und Katas­tro­phen ein­her­ge­hende Ans­tieg von Rechts­po­pu­lis­mus und Rechts­ra­di­ka­lis­mus Teil des­sel­ben Trends wird, wie der Umwel­takt­vi­sums, die neuen sozia­lis­ti­schen und anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Bewe­gun­gen, oder aber die auto­ritäre Öko­lo­gie und der Links­po­pu­lis­mus. Und auch auf­sei­ten der Wis­sen­schaft scheint es immer unwahr­schein­li­cher verläss­liche Orien­tie­run­gen zu fin­den. Offen­sicht­lich jedoch ist, dass die Zahl der Ret­ter wächst, je größer die Gefahr scheint. Aber sind alle diese poli­ti­schen und wis­sen­schaft­li­chen Ärzte auch empfehlenswert ?

Die poli­ti­schen Ret­ter vom For­mat Selens­ky­js, Orbáns oder Kac­zyńs­kis las­sen sich nicht darum bit­ten, die Demo­kra­tie zu ent­wur­zeln. Und das­selbe gilt für bes­timmte wis­sen­schaft­liche Exper­ten, die neue (oder alte) Wünsche nach Herr­schaft und Kon­trolle hegen. So for­derte kürz­lich in einem Inter­view mit dem Tage­blatt (Hrsg. 19. März 2020, S. 6) einer der füh­ren­den natio­na­len Exper­ten der Verhal­tens­for­schung, Prof. Dr. Claus Vögele, kur­ze­rhand die Teil­nahme des psy­cho­lo­gi­schen Bera­ters an der poli­ti­schen Macht : „Und die Poli­ti­ker soll­ten auf die Wis­sen­schaft­ler hören : einer­seits auf die Viro­lo­gen, aber auch auf die Verhal­tens­for­scher, denn es geht ja hier auch darum, ganze Bevöl­ke­run­gen in ihrem Verhal­ten zu lenken.“

Es stimmt, dass die wis­sen­schaft­liche Verhal­tens­ma­ni­pu­la­tion von Bevöl­ke­run­gen gegenü­ber den Public Rela­tions Fachleu­ten immer benach­tei­ligt war. Die großen Gewin­ner im Ren­nen um die Füh­rung des Volkes waren PR-Spe­zia­lis­ten wie Wal­ter Lipp­mann und Edward Ber­nays. Wis­sen­schaft­ler wie Paw­low, Thorn­dike oder Wat­son haben nie den poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Erfolg ihrer Kon­kur­ren­ten gekannt. Trotz­dem waren ihre Werke und Metho­den ideo­lo­gisch nicht weni­ger inter­es­sant als die ihrer ges­chäftstüch­ti­ge­ren Kon­kur­ren­ten. In die­sem Sinne blei­ben vor allem die poli­ti­schen Gedan­ken eines Bur­rhus Fre­de­ric Skin­ner, der Vater der moder­nen Verhal­tens­tech­nik, äußerst rele­vant, auch wenn sie von der jüng­sten Pro­pa­gan­da-Kri­tik über­se­hen wurde. Skin­ner gibt näm­lich einen sehr erhel­len­den Ein­blick auf die poli­tische Bedeu­tung der sonst so wis­sen­schaft­li­chen Verhaltenspsychologie. 

Als Jugent­li­cher wollte Skin­ner eigent­lich Schrifts­tel­ler wer­den. Auch wenn es ihm gelang einer der ein­fluss­reichs­ten Psy­cho­lo­gen des 20. Jah­rhun­derts zu wer­den, so veröf­fent­lichte er doch nur einen ein­zi­gen Roman : Wal­den Two. Im Genre des The­sen­ro­mans zeich­nete Skin­ner hier die Uto­pie einer gesun­den, wei­sen, gerech­ten, glü­ck­li­chen und gewalt­freien Gemein­schaft. Skin­ners Gemein­schaft sollte diese kon­krete Uto­pie durch den Aus­schluss von Poli­tik und mithilfe wis­sen­schaft­li­cher Verhal­tens­len­kun­gen errei­chen. Darauf schei­nen die Verhal­tens­for­scher also auch heute noch zu schwö­ren. Wie bei den meis­ten klas­si­schen Uto­pien liegt das Inter­esse hier weni­ger bei der erträum­ten idea­len Gesell­schaft ; für Skin­ner ist es die eines selbst­ge­rech­ten kleinbür­ger­li­chen Sozia­lis­mus, der durch Maß und Ord­nung bes­timmt wird und auf einer kon­ser­va­ti­ven Sexual­mo­ral beruht. Inter­es­san­ter sind die Mit­tel die der poli­tische Vor­den­ker der Verhal­tens­for­scher mobi­li­sie­ren möchte, um eine solche Gesell­schaft her­zus­tel­len und zu erhalten.

Auf­bauend auf Hen­ry David Tho­reaus klas­si­schem sozia­len Expe­riment – der „Uto­pie für einen Men­schen“ – ver­sucht Skin­ner über Tho­reaus authen­ti­schen Indi­vi­dua­lis­mus hinaus­zu­ge­hen, indem er „das Wis­sen über men­schliches Verhal­ten dazu nutzte, ein soziales Umfeld zu schaf­fen, in dem wir ein pro­duk­tives und krea­tives Leben füh­ren wür­den, und zwar ohne die Chance zu gefähr­den, dass die­je­ni­gen, die uns fol­gen, das gleiche tun könn­ten.“ Einer der frü­hen Kom­men­ta­to­ren von Wal­den Two sah hier schon eine Mögli­ch­keit „die Natur der west­li­chen Zivi­li­sa­tion auf eine katas­tro­pha­lere Weise zu verän­dern als Atom­phy­si­ker und Bio­che­mi­ker zusam­men.“ Nichts­des­to­trotz schei­nen auch die heu­ti­gen Verhal­tens­for­scher sich nicht son­der­lich an diese Mögli­ch­kei­ten ihrer Wis­sen­schaft zu stören. 

Wäh­rend Tho­reau für einen genüg­sa­men Rück­zug in die Ein­sam­keit und für die Loslö­sung von sozia­ler Kon­di­tio­nie­rung plä­dierte, grün­dete Skin­ner seine Uto­pie auf die soziale Tech­nik des Verhal­tens und die wis­sen­schaft­liche Mani­pu­la­tion des Geistes. Für den wis­sen­schaft­li­chen Verhal­tens­for­scher sind die wohl­ge­mein­ten Ideale der poli­ti­schen Phi­lo­so­phie und der kri­ti­schen Sozio­lo­gie – Gerech­tig­keit, Glei­ch­heit, har­mo­nische Zusam­me­nar­beit, Wohl­fahrt, öffent­liche Gesund­heit, Umwelt­schutz – des­to leich­ter prak­tisch zu ver­wirk­li­chen als sie von den tech­nisch inef­fi­zien­ten Pro­zes­sen der Demo­kra­tie los­gelöst werden. 

Schon zu Beginn seines Romans bie­tet Skin­ner eine ein­drucks­volle Illus­tra­tion sei­ner Verhal­tens-gelenk­ten psy­cho­tech­ni­schen Uto­pie. Fra­zier, der Pro­ta­go­nist des Romans und Vor­den­ker der Gemeinde Wal­den Two, führt seine Besu­cher an den Rand des Dorfes, ent­lang einer gep­fleg­ten Weide. Er erklärt : „Die Ein­hei­mi­schen lie­ben diese große Wiese, aber sie verab­scheuen Rasenmä­her. So wird die Wiese von einer Schaf­herde ‚unte­rhal­ten‘, die an einem ein­fa­chen Seil ent­lang der Bereiche, die ihre Auf­merk­sam­keit benö­ti­gen, geführt wird.“ Wenn die Schafe von heute so frei schei­nen und ihrer frei­willi­gen Knecht­schaft zuzus­tim­men, erklärt Fra­zier wei­ter, dann deshalb, weil ihre Vorgän­ger ihre Frei­heit noch mit den Schocks von elek­tri­schen Drahtzäu­nen lern­ten. Von Gene­ra­tion zu Gene­ra­tion zeigte sich, so Fra­zier, dass Schafe keine Schocks mehr brau­chen, um die Ein­schrän­kung ihrer Bewe­gun­gen zu akzep­tie­ren. Ihre Gefan­gen­schaft ist für sie so selbst­verständ­lich gewor­den, dass sie ihnen nicht mehr als Gefan­gen­schaft erscheint. Und selbst wenn sich die klei­nen Läm­mer ab und zu ent­fer­nen und verir­ren, so „machen sie keine Pro­bleme und ler­nen schnell, bei der Herde zu bleiben“.

Als Castle, der kri­tische Phi­lo­soph der Gruppe, bemerkt, dass die Schafe ohne Sprache glü­ck­li­cher­weise nicht nach dem „Warum“ ihrer Gefan­gen­schaft fra­gen, ant­wor­tet Fra­zier nüch­tern : „Ich hätte Ihnen sagen sol­len, … dass ein Groß­teil der Kraft der Tra­di­tion auf das ruhige Wesen zurü­ck­zufüh­ren ist, das Sie da hin­ten sehen.“ Er zeigt auf einen Schä­fe­rhund, der in der Ferne steht, und fügt hin­zu : „Wir nen­nen ihn den Bischof.“ 

Kul­tur, Tra­di­tion und sogar Reli­gion brau­chen also nicht aus der uto­pi­schen Gesell­schaft aus­ges­chlos­sen zu wer­den. Ganz im Gegen­teil : auch hier noch erwei­sen sie ihre unü­ber­tref­fliche Nütz­li­ch­keit in der Len­kung der freien Volks­ge­mein­schaft. Wenn Kul­tur, Tra­di­tion und Reli­gion nur in den fähi­gen wis­sen­schaft­li­chen Hän­den der Verhal­tens­for­scher blei­ben, wer­den sie zur wirk­sam­sten Kraft der offe­nen Gesell­schaft. Man könnte sich fast vors­tel­len, dass unter der rich­ti­gen wis­sen­schaft­li­chen Lei­tung unter die­sen Bedin­gun­gen nach ein paar Gene­ra­tio­nen sogar Poli­tik und freie Wah­len möglich wer­den dürf­ten. Unter der qua­li­fi­zier­ten Auf­sicht der Wis­sen­schaft­ler könnte auch Poli­tik zum wirk­sa­men Expe­riment werden. 

1971 schrieb Skin­ner in einem sei­ner umstrit­tens­ten Bücher, Beyond Free­dom and Digni­ty : „Eine Kul­tur zu ent­wer­fen ist wie ein Expe­riment zu ent­wer­fen ; es wer­den Even­tua­litä­ten orga­ni­siert und Effekte fest­ge­hal­ten. In einem Expe­riment inter­es­sie­ren wir uns für das, was ges­chieht, für die Ges­tal­tung einer Kul­tur mit der Frage, ob sie funk­tio­niert. Das ist der Unter­schied zwi­schen Wis­sen­schaft und Technik.“ 

Es dürfte nicht über­ra­schen, dass his­to­risch gese­hen die Verhal­tens­psy­cho­lo­gie, die ihre Labor­wis­sen­schaft auf die Psy­cho­the­ra­pie im Beson­de­ren und auf das Social Engi­nee­ring im All­ge­mei­nen anwen­det, Teil der tech­no­kra­ti­schen Bewe­gung ist, die in den 1930er Jah­ren in den Verei­nig­ten Staa­ten ents­tand. Die Tech­no­kra­ten sahen, ähn­lich wie die mar­xis­ti­schen Gesell­schafts­kri­ti­ker, das Para­doxon einer Gesell­schaft, die dank des tech­no­lo­gi­schen Fort­schritts mit aus­gie­bi­gen Res­sour­cen gese­gnet war, aber wei­te­rhin unter bei­spiel­lo­sen wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Kri­sen litt. 

Die Ana­ly­sen und Lösung­sansätze der Tech­no­kra­ten unter­schie­den sich jedoch radi­kal von denen der Mar­xis­ten. Wenn die Poli­tik nicht die not­wen­di­gen sozia­len Anpas­sun­gen an den tech­no­lo­gi­schen Fort­schritt auf­brin­gen kann, so die Tech­no­kra­ten, würde All­ge­mein­heit davon pro­fi­tie­ren durch apo­li­tische Exper­te­nor­ga­ni­sa­tio­nen ersetzt zu wer­den. Dies schien den Tech­no­kra­ten und ihren psy­cho­lo­gi­schen Anhän­gern umso zwin­gen­der als der Mensch selbst „ein Motor, der poten­zielle Ener­gie in Form von che­mi­schen Ver­bin­dun­gen in der Nah­rung einfängt und in Wärme, Arbeit und Kör­per­ge­webe umwan­delt“ dars­tellt. Dek­la­riert, als bio­lo­gische Maschine, „die eine gewisse Viel­falt an Bewe­gun­gen und Geräu­schen“, d. h. Verhal­tens­wei­sen, erzeugt, wird dann die Len­kung des Men­schen zu einer Frage der wis­sen­schaft­li­chen Erfor­schung und der tech­ni­schen Anwen­dung von Labor­wis­sen. In Skin­ners schö­nen Wor­ten ist ein „Misss­tand […] ein Rad, das man ölen muss, oder ein gebro­chenes Rohr, das man repa­rie­ren muss.“ 

Dass der Mensch tatsä­chlich unter gewis­sen Pro­duk­tions­ve­rhält­nis­sen, in gewis­sen gesell­schaft­li­chen (d. h. kapi­ta­lis­ti­schen) Orga­ni­sa­tions­for­men durch abs­trakte, ent­frem­dete Arbeit zur Maschine ernie­drigt wird, wäre nicht ein­mal infrage zu stel­len. Diese Ent­frem­dung aber wis­sen­schaft­lich zu mys­ti­fi­zie­ren und als men­schliches Wesen zu hypo­sta­sie­ren scheint weder wis­sen­schaft­lich noch poli­tisch viel­vers­pre­chend. Wenn solche Wis­sen­schaft nicht auf schie­rer poli­ti­scher und sozio­lo­gi­scher Igno­ranz gegrün­det wäre, könnte sie mit ihren nicht reflek­tier­ten Mach­tans­prü­chen selbst als mani­pu­la­tive Irrefüh­rung im Inter­esse der eta­blier­ten poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Mächte erscheinen.

Die neue Macht, die sich die tech­no­lo­gi­schen Exper­ten anmaßen und die psy­cho­lo­gische Ver­fei­ne­rung, die die wis­sen­schaft­liche Verhal­tens­for­schung dazu bei­tra­gen möch­ten, ist offen­sicht­lich nicht mehr die dis­zi­pli­nie­rende und poli­zei­liche Macht der offen auto­ritä­ren Staats­ge­walt. Die for­dis­tische Orga­ni­sa­tion der libe­ra­len Gesell­schaft in den 30er Jah­ren und in der Nach­krieg­szeit erfor­derte eine neue Art von Gou­ver­ne­men­ta­lität, die Michel Fou­cault mit der inter­es­san­ten For­mel des Frei­heits­ma­na­ge­ments bes­chrieb : „Frei­heit muss mit der einen Hand pro­du­ziert wer­den, aber gerade die­ser Akt impli­ziert, dass mit der ande­ren Hand Bes­chrän­kun­gen, Kon­trol­len, Zwang […] eta­bliert werden.“

Der poli­tische Ans­pruch der Tech­no­kra­ten und ihrer psy­cho­lo­gi­schen Anhän­ger lässt in der aktuel­len Dis­kus­sion über den Vor­teil auto­kra­ti­scher Regime bei der Pan­de­mie erah­nen, wie groß ange­legte Verhal­tens­re­glung auch in Demo­kra­tien von wis­sen­schaft­li­chen Bischö­fen durch­ge­setzt wer­den könn­ten, ohne dass die Schä­flein sich dabei um ihrer Frei­heits­rechte beraubt fühlen. 

Um sich mit dem Auto­ri­ta­ris­mus mes­sen zu kön­nen, das schei­nen Verhal­tens­for­scher wie­der ein­mal vor­zu­schla­gen, müs­sen die libe­ra­len Demo­kra­tien auf sub­ti­lere Mani­pu­la­tion set­zen, eine Mani­pu­la­tion, die es dank aus­ge­feil­ter Tech­ni­ken vermö­gen die Räder rich­tig zu ölen, und glei­ch­zei­tig den Mani­pu­lier­ten das Gefühl der Frei­heit zu las­sen. Dabei schla­gen diese „stil­len Ges­chöpfe“, die sich auf der schein­bar bes­chei­de­nen Dis­tanz ihrer Labore und Fakultä­ten hal­ten, nichts weni­ger als die Abschaf­fung der libe­ra­len Gesell­schaft vor, die sie ange­blich ret­ten wollen. 

„Die Men­schen sind glü­ck­lich“, schreibt Hux­ley in Brave New World, „weil sie bekom­men, was sie wol­len, und sie wol­len nie das, was sie nicht bekom­men kön­nen.“ Wenn dem wis­sen­schaft­li­chen Ammenmär­chen der Verhal­tens­wis­sen­schaft zufolge der Wille der Men­schen maß­ges­ch­nei­dert wer­den könnte, wenn die Hers­tel­lung ihrer Zus­tim­mung und ihrer Anpas­sung in der Tat zur bloßen Frage der Mas­sen­tech­no­lo­gie wer­den könnte, dann wür­den wir in der Tat in der bes­ten, schö­nen Welt eines ‚wei­chen Auto­ri­ta­ris­mus‘ leben, in der keine unan­ge­pass­ten schwar­zen Schafe mehr nach dem warum frag­ten. Dank der Verhal­tens­wis­sen­schaft könn­ten dann die Men­schen in der Täu­schung erhal­ten wer­den, wo „sie für ihre Knecht­schaft kämp­fen, als sei es für ihr Heil“. (Spi­no­za, Theo­lo­gisch-poli­ti­scher Trak­tat.)

  1. Siehe https://​www​.tage​blatt​.lu/​m​e​i​n​u​n​g​/​f​o​r​u​m​/​l​a​u​t​o​r​i​t​e​-​d​e​-​l​a​-​s​c​i​e​n​ce/