In einem New York Times Artikel vom 17. Februar beschreibt die amerikanische Journalistin Lara Jakes, wie eine winzige NATO-Nation ein großes Problem in den Griff bekam : das Problem der Bewaffnung der Ukraine. Das fragliche winzige Land, das es so dank seiner Kriegsanstrengungen in eine der weltweit größten Zeitungen geschafft hat, ist kein anderes als mein Heimatland : Luxemburg !
Aus Amerika erfahren wir so, dass der grüne Verteidigungsminister Luxemburgs, François Bausch, keine Mühe scheut der Ukraine bei ihrer Kriegsrüstung zu helfen. Herr Bausch, der noch vor ein paar Wochen stolz auf RTL behauptete, er sei als Grüner nie Pazifist gewesen, sah keine andere Alternative für Luxemburg als Waffenbeistand.
Nun stößt das Arsenal von Luxemburgs 900-Mann Armee mit seinen leicht bewaffneten Freiwilligen, schnell an seine Grenzen. Raketen, Bomben und Panzer hat Luxemburg zwar keine, aber dafür immer wieder erstaunliche Geldreserven. In einem historisch erstmaligen Entschluss war Luxemburgs Friedensbeistand so schnell entschieden wie die Banküberweisungen der entsprechenden Steuergelder. Mithilfe eines 94 Millionen Dollar Vertrags, will das grün-rot-liberale Luxemburg Bausch zufolge zeigen, dass man Putin nicht tun lassen kann, was er beabsichtigt.
Leider konnten die hauseigenen Waffenhändler derzeit nur 600 Raketen aus der Sowjetära habhaft machen ; nur ein Zehntel also der beabsichtigen 6000. Die Anschaffung von sowjetischen Waffen benötigte höchste Diskretion. Das erklärt, weshalb man Luxemburgs finanzielle Kriegshilfe auf den unteren Stufen des Transparenzindexes des Kieler Instituts für Weltwirtschaft findet. Aber mit diskreten Geschäften hat man immerhin ein erwiesenes Know-How.
94 Millionen Dollar, so Bausch zufrieden in der New York Times, machen gut 16% des nationalen Verteidigungsbudgets aus. Damit gehört Luxemburg neben Litauen mit 41%, Estland mit 37% und Lettland mit 16,7% zu den vier NATO-Mitgliedsstaaten, die den größten Teil ihres Verteidigungsbudgets an die Ukraine überwiesen haben. Dagegen haben Luxemburgs Nachbarländer Deutschland 2,4%, Belgien 1,9% und Frankreich 0,5% ihres Verteidigungsbudgets zum bewaffneten Frieden beigesteuert. Dennoch : mit seinen 130’000 $ Pro Kopf-BIP, und das macht die NY-Times den Luxemburgern sehr deutlich, gibt es hier noch viel Luft nach oben.
Eigentlich war Luxemburg bisher eher russlandfreundlich. Die zwei letzten sozialistischen Wirtschaftsminister haben immerhin ihr politisches Mandat wohlwollend abgelegt, um Verwaltungsräten von russischen Investmentfirmen und Banken mit ihren wirtschaftlichen und politischen Kontakt-Netzen beizustehen. Glaubt man auch der luxemburgischen Wirtschaftszeitschrift Paperjam, so betrieben bis Februar 2022 ein Drittel der reichsten russischen Oligarchen gut 90 luxemburgische Investmentfirmen.
Der Verteidigungsminister erklärt nun aber seinen moralischen Sinneswandel mit den tiefen Einsichten von Yuval Noah Harari. Mit dessen leicht verständlichen Wissenschaftspopulismus wurden auch den Luxemburger Entscheidungsträgern die moralischen Kriegsziele leicht verständlich.
Denn Harari zufolge gab es nichts, was den Ukraine-Krieg hätte vorausahnen lassen. Es sei denn, Putins Traum das russische Imperium wiederherzustellen. Nach Hararis Psychohistorie, sieht sich Putin, der mit den Geschichten von deutschen Gräueltaten und russischer Tapferkeit aufwuchs, jetzt selbst in der Rolle Hitlers. Die wohl bekannten Harari Geschichten aus der Perspektive des Jäger-Sammler Gehirns.
Wie die Ukraine in Hararis Geschichtsmythologie, kann auch Luxemburgs Nationbranding auf eine stolze tausendjährige Geschichte zurückblicken, die sich vorwiegend durch den einheitlichen und ungebrochenen Widerstand gegen Invasoren kennzeichnet. Wir waren im letzten Jahrhundert viele Male okkupiert, erklärt Bausch, daher haben wir eine enorme Sensibilität dafür … was jetzt in der Ukraine passiert.
Wie die luxemburgische Großherzogin Charlotte, die im London der 40er-Jahren an der Seite Churchills gegen den deutschen Aggressor über die BBC-Wellen kämpfte, so kämpft der luxemburgische Verteidigungsminister also heute mit den Waffen des moralischen Neoliberalismus gegen den russischen Hitler. Damit wäre abermals bewiesen : Luxemburgs Geschichte ist die Geschichte der historischen Selbstbehauptung eines Landes gegen die feindlichen Angreifer.
Lieber Thierry
Ich hatte heute Morgen etwas Zeit als ich die Mails durchsah, und ich entschied mich, mit Freude deinen neuesten Blog zu lesen. Und war nach der Lektüre perplex – zwiespältig enttäuscht. Sodass ich, obwohl nachmittags kaum Zeit, spontan widersprechen ‹muss›. Nicht dass du die Regierung deines Landes kritischer Betrachtung unterziehst, das ist dein Recht (vielleicht sogar « Bürgerpflicht »), auch nicht, dass du dich generell gegen die finanzielle Unterstützung der Ukraine, im Besonderen gegen den vergleichsweise hohen Beitrag Luxemburgs aussprichst. Aber über die ‹Optik› – deinem faktischen und moral point of view -, mit dem du an das von dir erkannte Problem herangehst ; und namentlich über die, wie mir scheint, konnotative Wortwahl, zu der du dich entschieden hast und damit m.E. in die Irre führst.
Zwiespältig, weil du einerseits mit der grossen Belesenheit, für die ich dich bewundere, und akribischer Recherche – z.B. die bis auf eine Kommastelle präzisen Angaben über die prozentuale Unterstützung der Ukraine durch verschiedene Länder, gemessen am jeweiligen Verteidigungs¬haushalt – dich aus wissenschaftlicher Sicht an die Fragestellung herangehst, und anderseits weil du für dein vernichtendes Urteil moralisch so aufgeladene Begriffe verwendest. Das beginnt bei der Überschrift : Kriegsanstrengungen (Luxemburgs, nicht Russlands!). Aber eigentlich überhaupt wie du von « Krieg » sprichst. Wenn man in der russischen Nomenklatur bleiben möchte : es soll hier nicht um Krieg gehen, sondern um eine militärische Sonderaktion – also weit unter der Schwelle eines Krieges, dann könnte kein Beitrag Luxemburgs als « Kriegsanstrengung » bezeichnet werden. Es sei denn, man vertauscht Täter gegen Opfer.
Auch wenn man dieser Sprachregelung nicht folgt, scheint mit die Charakterisierung der Finanzleistungen Luxemburgs an die Ukraine als « Kriegsanstrengung » leichtfertig und nicht begründbar. Weil meine Ausbildung in Staats- und Völkerrecht schon eine kleine Ewigkeit zurückliegt (das erstere obligatorischer, das zweite fakultativer Bestandteil des damaligen Studiums der Volkswirtschaft), habe ich mich im Internet versucht, über den Begriff Krieg, Kriegspartei und Nicht-Kriegspartei etwas klüger zu machen. Die kurze Recherche hat meine Erinnerung – mein Vorurteil, wenn du willst – bestätigt. Sprach man nach dem ‹alten› Kriegsvölkerrecht noch von Krieg, ist die Situation heute, nach dem Briand-Kellog-Pakt von 1928 und der UNO-Charta, verändert. Es gibt für ‹internationale bewaffnete Konflikte› « rechtlich grundsätzlich keine Grundlage mehr – mit Ausnahme des Verteidigungskrieges » (Talman 2022-05-04), ähnlich : (Studer 2023-02-04), (Wissenschaftliche Dienste Des Deutscher Bundestages 2007). Und es kommt im Unterschied zur früher, als Kriege noch ‹erklärt› wurden, nicht mehr auf den subjektiven Willen der Staaten an, sondern ausschliesslich auf den Tatbestand.
Wie man immer die ‹Vorgeschichte› des Ukraine-Krieges beurteilen will – ob von der Aufrüstung der westlichen Nachbarstaaten Russlands, der NATO oder/und der Ukraine ‹provoziert›, wie es bei der AfD etwa lautet, oder von der Wieder-Errichtung des zaristischen bis sowjetrussischen Imperialismus ‹indiziert› – die russische ‹militärische Spezialoperation› als militärische Gewaltanwendung gegen die Ukraine ist mit dem Völkerrecht nicht vereinbar. Die ukrainische Selbstverteidigung – und bisher blieb es nach meinen Informationen auf ukrainischen Militäroperationen allein auf eigenem Territorium – hingegen ist völkerrechtlich geschützt. « Stiefel auf dem Boden » (Studer 2023-02-04), (die Basler Profn. für Völkerrecht Anna Petrig zitierend), und zwar auf fremdem Boden, hat allein Russland. Wenn die Ukraine in der Folge als ‹Kriegspartei› bezeichnet wird, so ist sie dies jedenfalls nicht aus eigenem Willen geworden, sondern diese Stellung wurde ihr gegen ihren Willen durch den russischen Übergriff – schon 2014 mit der Besetzung der Krim – oktroyiert. Für mich ist deshalb– als politisches und sozialethisches, also immer auch revidierbares Urteil – klar, wem die Solidarität der unter der UNO-Charta vereinten « Völkergemeinschaft » zu gelten hat.
Von da her gesehen, finde ich die Überschrift « Luxemburgs Kriegsanstrengungen » falsch, ein bashing Luxemburgs. Als ob es ‹damals›, im Zweiten Weltkrieg, eine Kriegsanstrengung der Schweiz – mit deren aus dem alten Völkerrecht stammenden Neutralitätspolitik ich innerlich im Streit liege – gewesen wäre, hätte sie – was m.W. nicht der Fall war, Luxemburg finanziell unterstützt, als euer Land, von Ost und West militärisch überrannt, gegen seinen Willen zur ‹Kriegspartei› geworden war. Ich wäre deshalb froh, du würdest deine Position, oder die Begründung deiner Position überdenken ; es könnte dann auch die mir polemisch erscheinende Verbindung zu « Luxemburgs Geschichte … der historischen Selbstbehauptung » als einem National-Mythos, oder wie man heute sagt : einem selbsterhöhenden Narrativ, wie es sich leider in vielen Ländern, gerade auch der Schweiz lesen lässt, entfallen.
Mit herzlichen Grüssen
Hans-Balz
Dr.oec.publ., Prof.em. für Sozialethik, Universität Bern
- Studer, P. (2023 – 02-04) « Westhalb kein westlicher Staat Kriegspartei ist. Der Krieg in der Ukraine hält an, die Frage, wer Kriegspartei ist, wird virulenter. Was sagt das Völkerrecht ? » SRF News – International, https://www.srf.ch/news/international/krieg-in-der-ukraine-weshalb-kein-westlicher-staat-kriegspartei-ist.
- Talman, S. (2022 – 05-04) « Kriegspartei oder nicht Kriegspartei ? Das ist nicht die Frage. » DOI : 10.17176/20220505 – 062322‑0.
- Wissenschaftliche Dienste des Deutscher Bundestages (2007) « Die völkerrechtliche Definition von Krieg. Sachstand. » https://www.bundestag.de/resource/blob/494606/1e69675dfb469de68e2ba1d507324395/WD‑2 – 175-07-pdf-data.pdf.
Lieber Hans-Balz,
meine Kritik an der luxemburgischen Kriegspolitik – ich weiß, öffentlich nennt man das „Verteidigungspolitik“ – hat also Deinen Erwartungen mir gegenüber nicht entsprochen und hat Dich, dem Wortsinn zufolge, mir gegenüber desillusioniert. Welche Illusionen das wohl waren ?
Wir scheinen uns aber zuerst einmal über die Idee des Rechts und sogar der Bürgerpflicht von Regierungskritik einig zu sein. Im Konkreten, jedoch, wenn es um den Inhalt geht, scheinen die Dinge dann anders zu liegen.
Wenn Du von Luxemburg-Bashing schreibst, scheinst Du auf unzulässige, oder wenigstens unüberlegte oder sogar unsinnige Kritik hinzuweisen. Und das unzulässige meiner Kritik bestünde, wenn ich Dich recht verstehe, in der gewollt irreführenden Vermischung von richtiger Information und manipulativer, moralisierender Rhetorik. Wenn ich das recht deute, stehe ich im Ganzen auf der „falschen Seite“ und versuche die Opfer in Täter oder gar die Täter in Opfer zu verwandeln ?
Das lässt mich perplex, da ich absichtlich keine Stellung zur Schuldfrage des Ukrainekriegs genommen habe. Opfer sind offensichtlich alle die Soldaten und Zivilisten, die in solchem Krieg das Leben verlieren, verstümmelt, gefoltert und vergewaltigt werden. Opfer des Kriegs sind also alle die, die im „Kriegsfeld“ stehen. Und Opfer sind alle diejenigen, die noch Generationen danach an den körperlichen und seelischen Konsequenzen dieses Kriegs zu leiden haben. Täter sind diejenigen, die das entweder direkt, oder von ihrem Schreibtisch her ausdenken, planen, veranlassen und bezahlen. Es gibt die direkten Täter, und die Schreibtischtäter. Zu den Letzteren gehören alle Kriegsherren und Planer und Investoren.
Mein Thema war jedoch nicht der Ukrainekrieg an sich, der in Deinem moralischen Kompass so eindeutig scheint, und ganz sicher nicht die moralische Frage des Rechts und Unrechts des Angriffskriegs. Ich bin sogar überzeugt, dass diese Frage im Moment außerhalb der Kriegspropaganda gar nicht einmal fassbar ist.
Ich schätze, Du kennst die „Prinzipien der Kriegspropaganda“ der belgischen Historikerin Anne Morelli. Die klingt ungefähr so : „Wir wollten keinen Krieg“, „der Gegner allein ist für den Krieg verantwortlich“, „wir verteidigen nur edle Ziele“, wir haben die Moral auf unserer Seite, – wir machen Krieg, wie im Vietnam, oder wie im Irak, oder letztlich wie im „Unternehmen Bündnisstreitmacht“ mit Streubomben und Uranmunition (Serbien hat noch heute die höchste Rate von Lungenkrebs in Europa) für die Demokratie, für das Recht auf Selbstbestimmung. Oder, mein Lieblingsoxymoron, das Du vielleicht sogar unterzeichnen würdest : wir machen „Krieg für den Frieden“. Zum Verlautbarungsjournalismus und zur politischen Propaganda gehört selbstverständlich auch, dass wer „unsere“ Version in Zweifel zieht, den Feind unterstützt. Etwas davon glaube ich, aus Deiner Kritik herauszuhören.
Auf dieses Kriegspropaganda-Terrain wollte und will ich mich nicht begeben. Wenn Du Dir heute, ohne jeglichen historischen und politischen Analysen zumutest, für die es noch Jahre benötigen wird, eine klare, sichere, und zweifellos moralisch, historisch und politisch richtige, nicht propagandageladene Einschätzung der Situation zu haben, möchte ich Dir gerne zuhören und etwas von Dir lernen. Ich hege jedoch derzeit noch ein paar Zweifel an dieser Sicherheit.
Ich versuche im folgenden auf Deine Argumente zu antworten. Der Reihe nach, da ich mir nicht sicher bin den Zusammenhang zwischen Deinen Kritikpunkten recht zu verstehen.
Zuerst scheint Dir mein Titel aus der russischen Perspektive schlecht gewählt. Auf jeden Fall müsste der Titel also dann etwa heißen : „Luxemburgs militärische Sonderanstrengungen“? Entbehrt nicht jeglichen Humors.
Wieso sollten wir denn eine russische Perspektive einnehmen ? Ich glaube, ich kenne die Antwort dieser Anspielung : Du scheinst mir zu unterstellen, dass wenn ich nicht mit Deiner Auslegungen der Tatsachen übereinstimme, ich also auf der Seite Putins stehe und in Unterstützung des „russischen Hitlers“ die militärische Sonderaktion Luxemburg verurteilen würde.
Das wäre in etwa das genau Gegenteil dessen, was ich beanspruche. Aber genau das ist ja das Kennzeichen der Kriegspropaganda : Wer nicht an unserer Seite gegen das Böse kämpft, wer sich, wie ich, für humanitäre Hilfe oder für mehr diplomatische Anstrengungen in Richtung Frieden einsetzt, als für Bomben, der ist für den Krieg, oder für den Gegner. Hier sprichst Du also wie Herr Busch im September 2001 : „Either you are with us, or you are with the terrorists.“ Weder noch, lieber Hans-Balz.
Wenn wir aber das unterschwellige Urteil meines hypothetischen „Putinverstehens“ weglassen, und vom tatsächlichen Krieg sprechen, dann wäre mein Titel Deiner Meinung nach trotzdem noch „leichtfertig“, also unüberlegt, unbesonnen oder leichtsinnig.
Ist das so ?
Nicht leichtfertig wäre es also Deiner Meinung nach in dieser Frage, sich ausschließlich auf das neuere Völkerrecht zu beziehen. Angenommen, das wäre so. Nach diesem Völkerrecht ist der russische Angriffskrieg nicht zulässig. Das will ich Dir sehr gerne glauben.
Dann verstehe aber nicht, inwiefern die Legalität oder Illegalität der russischen Stiefel auf ukrainischem Boden den Ausdruck „Kriegsanstrengung“ in Bezug auf Luxemburg leichtfertig macht. Ganz im Gegenteil : Du erinnert daran, dass der Verteidigungskrieg völkerrechtlich geschützt ist. Also kann ein Verteidigungskrieg juristisch klar gekennzeichnet werden. Also ist die Ukraine in einen Verteidigungskrieg involviert.
Wenn das wahr ist, und das glaube ich, dann ist aber die luxemburgische Bomben-Hilfe eine Verteidigungskriegshilfe. Also eine Kriegsanstrengung auf der Seite der Verteidigung in einem Krieg.
Wo ist hier der Leichtsinn, oder das Unüberlegte ? Deine Kritik scheint meinen Titel und das damit gemeinte sowohl von der Logik als auch vom Tatbestand her zu rechtfertigen.
Ich schätze, Du würdest die triviale Behauptung, dass Bomben und Raketen in einer Kriegssituation den einzigen Zweck haben, so viele gegnerische Soldaten zu töten oder zu verstümmeln wie möglich, nicht abstreiten ? Wenn Luxemburgs „Verteidigungspolitik“ sich also dazu entscheidet, vom Schreibtisch aus, 90 Millionen in das Töten, Verstümmeln und Traumatisieren, aber nur 20 Millionen in die humanitäre Hilfe zu investieren, dann stellt das Wort „Kriegsanstrengung“ meines Erachtens sogar noch einen Euphemismus dar : Mordgelüste oder „Kriegsrausch“ und „Trunkenheit des Kriegs“, wie es ein gewisser Schweizer Bundesrat vor ein paar Wochen formulierte, scheinen mir hier viel zutreffender.
Was meine zweifelhafte Moral anbetrifft, die Du in der Nähe der AfD ansiedelst, wieder unterschwellig, und dann mithilfe von Kontaktschuld als rechtsextrem kennzeichnest, so muss ich Dir auch dabei widersprechen. Meine moralische Position ist die des Pazifismus. Das heißt, ich lehne jede Anwendung von Gewalt, und das heißt Bomben, Raketen, Panzer, Granaten, usw. ablehnt und mit aller Kraft für den Frieden eintritt :
„P. ist eine politisch-moralische Überzeugung bzw. Weltanschauung, die den Einsatz von Gewalt, insb. von militärischer Gewalt und von Kriegen als Mittel zur Durchsetzung von Interessen ablehnt und ausschließlich friedliche und gewaltfreie Aktivitäten (z. B. gewaltlosen Widerstand) duldet.“ (BpB : https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/18001/pazifismus/)
Wenn Gandhi, Bertand Russell oder die kürzlich verstorbene Bertha von Suttner in Deinen Augen Fürsprecher der Rechtsradikalen sind, dann möchte ich auch gerne als rechtsradikal in Deinen Augen gelten. Dieses Desillusionieren kann ich Dir nicht ersparen. Selbstverständlich könnten wir hier über M. L. Kings Kritik des Pazifismus und die Notwendigkeiten des „realistischen“ gewaltlosen Widerstands streiten.
Aber die orwellsche Verkehrung des Pazifismus in Bellizismus oder sogar in Rechtsextremismus scheint mir nicht nur leichtsinnig, sondern moralisch und politisch äußerst problematisch. Selbstverständlich kann man solche Verkehrungen leicht mithilfe von Strohmännern und Anspielungen und Ablenkung vom Thema rhetorisch gut zur Geltung bringen. Ein richtiges Argument für die Aufhebung von diplomatischen Friedensanstrengungen zugunsten von Waffenkäufen bieten sie jedenfalls nicht.
Mit alledem haben wir aber jetzt meine Kritik an Luxemburgs Kriegs- oder militärischen Sonderanstrengungen, und die Entscheidung, Raketen humanitärer Hilfe vorzuziehen, nicht einmal berührt. Zumal die einzig offizielle Erklärung dazu war, man dürfe den Putin nicht machen lassen, was er tun möchte.
Auch, dass hinter all diesem politisch-wirtschaftlich-militärischen Marketing des Stellvertreterkriegs, für den die Ukrainer schon mit mehr als 100’000, einigen Quellen zufolge vielleicht mehr als 200’000 Leben gezahlt haben, in der luxemburgischen Wirklichkeit eine Milliarden-Investment-Strategie über 15 Jahre steckt, die Luxemburg in den wirtschaftlichen Genuss des ersten „multi-souveränen“ Risikokapitalfonds der Welt brachte (Jens Stoltenberg), haben wir nicht einmal erwähnt. Luxemburg wird jetzt an vorderster Front für die NATO mit russischer und chinesischer Technologie zu konkurrieren versuchen, und sich in den Friedenstechniken der Überwachung, der Cybersicherheit, der Solardrohnen und Militärsatelliten hervortun.
Ja, lieber Hans-Balz, in meiner fragwürdigen Anti-Kriegsmoral, in meiner leichtfertigen Gewaltkritik haben das Leben und das Vermeiden von körperlichen und seelischen Leiden oberste Priorität. Denn nur wer lebt und nicht leidet, kann nachher über die Schuldfrage, das Recht und die Moral debattieren und entscheiden. Mit Santayana denke ich, dass nur die Toten das Ende des Kriegs je erlebt haben. Und wie Henry David Thoreau beim mexikanisch-amerikanischen Krieg (1846 – 48), denke auch ich daran, meine Steuerzahlungen für den neuen luxemburgischen militärisch-industriellen Komplex (ich schätze, Du kennst Ch. Wright Mills The Power Elite von 1956) einzustellen.