Sanfte Zensur

Die Wie­der­kehr der Zen­sur mit Schlag­stö­cken und Trä­nen­gas dürfte nie­man­dem, auch den­je­ni­gen die nichts zu sagen haben, ent­gan­gen sein. 

Neben der auto­ritä­ren Zen­sur gibt es aber auch die bekannte sanfte Zen­sur, die oft nur schwer sicht­bar ist. Das Pro­blem mit die­ser Form von Zen­sur ist, dass sie dur­chaus ratio­nal, verständ­nis­voll und nur mit bes­ten Absich­ten daher­kommt. In west­li­chen Demo­kra­tien spricht sie meist mit der vernünf­ti­gen Stimme der öko­no­mi­schen Not­wen­dig­kei­ten und der gesell­schaft­li­chen Siche­rheit. Deshalb muss sie auch nicht ein­mal als Zen­sur erschei­nen, son­dern kann sich als umsich­tig abge­wo­gene Mei­nung­sfrei­heit inszenieren. 

Diese Art Zen­sur spricht keine offe­nen Ver­bote aus. Sie emp­fiehlt, ganz im Gegen­teil, für­sor­gliche Vor­schrif­ten und Emp­feh­lun­gen für die Siche­rung der Mei­nung­sfrei­heit gegen ihre mut­maß­li­chen Gegner. 

Ihre Lie­bling­sphra­sen, beson­ders in denk­fer­ner Poli­tik, sind die immer schon abge­wetzte For­meln wie „man kann ja nicht …“, oder „man wird doch wohl …“: Mann kann doch nicht jeder­mann sagen las­sen was er möchte ! Man wird ja auch mal jeman­den das Spre­chen ver­bie­ten dür­fen, der zwei­fel­hafte Inter­es­sen ver­tritt. Aber ja, das wird man ja noch wohl dürfen !

Bereits in den 60er Jah­ren dachte Th. W. Ador­no in die­sem Duk­tus den siche­ren Hin­weis auf einen neuen Auto­ri­ta­ris­mus zu fin­den : „Das offen Anti­de­mo­kra­tische fällt weg. Im Gegen­teil : Man beruft sich immer auf die wahre Demo­kra­tie und schilt die ande­ren anti­de­mo­kra­tisch.“1 

Und hier­zu­lande verhält es sich auch heute noch kaum anders. Im sozia­len Druck­feld von Dorf­wirt­schaft und Vet­tern­psy­cho­lo­gie, fin­det man auch hier das unmit­tel­bare Bekennt­nis zum Auto­ritä­ren nur bei einem bes­chei­de­nen ‹luna­tic fringe›.

Der poli­tisch kor­rekte, und in Füh­rung­skrei­sen gut inte­grierte Fach­mann kann aus der Selbst­be­haup­tung sei­ner ver­meint­lich über­le­ge­nen Kom­pe­tenz heraus Unerwün­schte glei­ch­zei­tig als „Witz­bolde“ bezeich­nen, und Unte­rhal­tung und Spaß als wich­ti­gen Fak­tor einer quo­ten­träch­ti­gen Kul­tur prok­la­mie­ren. Und das geht ohne sich der Wider­sin­nig­keit der eige­nen Behaup­tun­gen gewahr zu werden.

Übe­rhaupt soll klar arti­ku­lierte Kri­tik einer von all­ge­mein­verständ­li­chen Ste­reo­ty­pen genähr­ten, prä­ven­ti­ven Auto­zen­sur wei­chen. Kri­tik ist bekannt­lich weder ges­chäftstüch­tig noch macht− und kar­rie­reför­dernd. Deshalb darf auch mal gelacht wer­den, damit die Dinge nicht wie­der zu ernst werden. 

„Der Gedanke, wahr­schein­lich nicht erst der von heute, erprobt sich in der Liqui­da­tion der Mei­nung : buchstä­blich der herr­schen­den. Diese ist nicht bloße Unzulän­gli­ch­keit der Erken­nen­den, son­dern ihnen auf­ge­drun­gen von der gesell­schaft­li­chen Gesamt­ver­fas­sung und damit von den Herr­schafts­ve­rhält­nis­sen. Ihre Ver­brei­tung gewährt einen ers­ten Index des Fal­schen : wie weit Gedan­ken­kon­trolle durch Herr­schaft reicht. Deren Signa­tur ist die Bana­lität.“2

Zum Wei­ter­le­sen :
„Mit ein paar Lied­chen daz­wi­schen“
(d’Lët­ze­buer­ger Land vom 20.12.2019)

  1. Ador­no, T. W. (2019). Aspekte des neuen Rechts­ra­di­ka­lis­mus (V. Weiß, Hrsg.). Suhr­kamp.
  2. Ador­no, Th. W. (1961). Mei­nung Wahn Gesell­schaft. In : Ein­griffe. Suhr­kamp.