Luxemburgs mediale Front gegen den Rechtspopulismus

Von Jebulon - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9678632

Da es in Luxem­burg weder natio­nal­so­zia­lis­tische Grup­pie­run­gen noch recht­sex­treme Par­teien gibt, wie es auch die belieb­teste Exper­tin der Lin­ken, Leo­nie de Jonge, einräumt (RTL, 2024), bleibt der luxem­bur­gische Kampf gegen Recht­sex­tre­mis­mus vor­wie­gend ein ima­ginä­rer Kampf. Aber auch ima­ginäre Kämpfe benö­ti­gen Feinde. Deshalb benen­nen die lin­ken Kri­ti­ker des luxem­bur­gi­schen Recht­sex­tre­mis­mus ihren erfun­de­nen Wider­sa­cher „Rechts­po­pu­lis­mus“.

Der Begriff des Rechts­po­pu­lis­mus ist nicht nur in der Wis­sen­schaft schwam­mi­ger, unbes­timm­ter und wei­taus viel­deu­ti­ger, als die ver­wand­ten Begriffe des Recht­sex­tre­mis­mus, Radi­ka­lis­mus oder Nazis­mus. Er bleibt vor­wie­gend im poli­ti­schen und jour­na­lis­ti­schen Gebrauch so ver­sch­wom­men, dass er alles bezeich­nen kann, was nicht links ist. Klar ist nur der durch­ge­hend nor­ma­tive, wer­tende Sinn des Wortes : Popu­lis­mus ist böse. Und Rechts­po­pu­lis­mus ist noch böser. Deshalb soll­ten schein­de­mo­kra­tische rechts­po­pu­lis­tische Par­teien, Men­schen oder Mei­nun­gen in einer wah­ren Demo­kra­tie geahn­det oder ver­bo­ten wer­den. Dies gilt den Wis­sen­schaft­lern, Poli­ti­kern und mili­tan­ten Jour­na­lis­ten selbst­verständ­lich auch für das Volk (popu­lus).

Das popu­lis­tische Volk ist der Plebs, der gemeine Pöbel, die unge­bil­dete, gemeine Masse, der große Lüm­mel, oder der Sack von Klä­gli­chen („bas­ket of deplo­rables“).

Die Moral-Linke des Tage­blatt, die neo­li­be­rale Linke der LSAP, die unent­schie­den link­sex­treme Linke der Lin­ken und die christ­ka­tho­lische Linke des Forum haben sich also zu einer hei­li­gen Hetz­jagd gegen das rechte Ges­penst mobi­li­siert und orga­ni­sie­ren, jede für ihre eige­nen Abon­nen­ten, Mit­glie­der, Freunde und Verbün­de­ten, Vor­träge, Dis­kus­sions­run­den und Inter­views gegen den Rechts­po­pu­lis­mus und für die Erret­tung der Demokratie.

Denn auch in Luxem­burg scheint die Demo­kra­tie nach dem Wahl­sieg der Mitte-rech­ten Christ­so­zia­len und dem deut­li­chen Stim­men­ge­winn der ADR durch den euro­pa­wei­ten „Rechts­ruck“ gefähr­det. Wie seine Nach­barlän­der muss sich deshalb auch Luxem­burg mit sei­nen Wahl­ver­lie­rern gegen den Ein­fluss der Rechts- bis Recht­saußen-Par­teien weh­ren. Es geht den lin­ken Demo­kra­tie­ver­fech­tern also um die Bekämp­fung einer poli­ti­schen „Kran­kheit“ und die Abwehr gegen deren „nie­der­träch­ti­gen“ Krankheitserreger.

Die Waf­fen, die unsere geis­tige Linke gegen die ima­ginä­ren Recht­sex­tre­men zu Felde füh­ren, sind das Prin­zip der demo­kra­ti­schen Into­le­ranz, der „Cor­don sani­taire“ („ein Cor­don sani­taire ist eine bewachte Linie, die ein­ge­rich­tet wurde, um die Aus­brei­tung von Infek­tions­kran­khei­ten zu verhin­dern“, s. de Jonge, 2019, S. 193) und die weh­rhafte Demokratie.

Das Prinzip der Intoleranz

Das Prin­zip der Into­le­ranz lei­tet sich aus der Zus­pit­zung von Karl Pop­pers Para­dox der Tole­ranz ab. In einer Fuß­note des ers­ten Bandes sei­ner Offe­nen Gesell­schaft unter­schei­det Pop­per zwi­schen drei Para­doxa : dem Para­dox der Frei­heit, dem Para­dox der Tole­ranz und dem Para­dox der Demo­kra­tie (Pop­per, 1975, S. 609 – 610).

Das Para­dox der Tole­ranz ents­teht dadurch, dass eine gren­zen­lose Tole­ranz zum Ver­sch­win­den der Tole­ranz füh­ren könnte. Das erklärt sich daraus, dass eine schran­ken­lose Tole­ranz es den Into­le­ran­ten ermö­gli­chen könnte „die Tole­ran­ten zu ver­nich­ten“. Sind die Tole­ran­ten dann ver­nich­tet, ist die auch Tole­ranz ausgelöscht.

In ähn­li­cher Weise bedingt das Para­dox der Frei­heit, dass „Gang­ster“ die Fried­fer­ti­gen unter­drü­cken und versk­la­ven könn­ten. Das Para­dox der Demo­kra­tie ents­teht sei­ner­seits, wenn eine demo­kra­tische Meh­rheit sich zu einem Dik­ta­tor oder einer dik­ta­to­ri­schen Regie­rung, z.B. im Aus­nah­me­zus­tand, ent­schei­det. Dieses letz­tere Para­dox ist unse­ren mora­li­schen, neo­li­be­ra­len und christ­ka­tho­li­schen Lin­ken trotz rezen­ten Aus­nah­me­zustän­den, Aus­gang­ss­per­ren und immer stär­ker wer­den­den staat­li­chen und unter­neh­me­ri­schen Kon­trol­len der Mei­nung­sfrei­heit selbst­verständ­lich so unbe­kannt, dass sie es nicht ein­mal erwähnen.

Wie sollte man sich also, Pop­per zufolge, gegen die Gang­ster, die Into­le­ran­ten und die Tyran­nen wehren ?

Durch ein poli­tisches Sys­tem, das „alle Men­schen, die zur Zusam­me­nar­beit bereit sind, das heißt alle tole­ran­ten Men­schen, tole­riert“. Dieses Prin­zip schließt auch die­je­ni­gen Gang­ster, Into­le­ran­ten und Möch­te­gern-Tyran­nen ein, die inne­rhalb der demo­kra­ti­schen Debatte ihr Recht auf freie Mei­nung­säuße­rung, auf Verei­ni­guns- und Par­teien­bil­dung wah­rha­ben möch­ten. Und das würde bedeu­ten, dass jeder Gang­ster, jeder Recht­sex­treme oder Rechts­ra­di­kale, der bereit ist, auf der „Ebene ratio­na­ler Dis­kus­sion zusam­men­zu­tref­fen“, in einer plu­ra­lis­tisch-frei­heit­li­chen Ord­nung sei­nen Platz hätte.

Wenn diese Bedin­gun­gen erfüllt sind, rät Pop­per sogar von der Unter­drü­ckung der Into­le­ran­ten ab : So lange „wir ihnen durch ratio­nale Argu­mente bei­kom­men und solange wir sie durch die öffent­liche Mei­nung in Schran­ken hal­ten kön­nen, wäre ihre Unter­drü­ckung sicher höchst unvernünftig“.

Erst wenn die Gang­ster, die Into­le­ran­ten und die Tyran­nen Argu­mente mit „Fäus­ten und Pis­to­len“ beant­wor­ten, ist es an der Zeit, die Unduld­sa­men nicht mehr zu dul­den. Die Tole­ranz hört dort auf, wo Fäuste und Pis­to­len, wo, all­ge­mei­ner, die prak­tische Gewalt beginnt. Pop­per sieht die rote Linie in der Nie­der­schla­gung des Dis­kurses, nicht in der Mei­nung­sviel­falt und Diver­genz inne­rhalb des Diskurses. 

Das Prin­zip der Into­le­ranz ver­kehrt den demo­kra­ti­schen Gedan­ken der offe­nen Gesell­schaft in sein Gegen­teil, indem es die Grenze der Into­le­ranz inne­rhalb der demo­kra­ti­schen Debatte selbst zieht.

Hier sind es nicht mehr die Fäuste und die Pis­to­len, hier ist es nicht mehr die mate­rielle Gewalt, die bekämpft wer­den sol­len, son­dern der ratio­nale und demo­kra­tische Dis­kurs selbst, wenn er als Recht­sex­trem, Rechts­ra­di­kal oder Rechts­po­pu­lis­tisch ein­ges­tuft wer­den kann. Nicht nur die Gewalt, son­dern auch der poli­tische Dis­kurs selbst soll hier ver­bo­ten, zen­siert und mögli­cher­weise bes­traft wer­den, wenn er dem als „demo­kra­tisch“ aner­kann­ten Dis­kurs widerspricht.

Wer ent­schei­det dann aber, was als Tole­ranz und was als Hass, was als demo­kra­tisch und als unde­mo­kra­tisch, was als ratio­nal und irra­tio­nal zu gel­ten hat ?

Gibt es hier ein­heit­liche, über­ges­chicht­liche oder außer­ges­chicht­liche, unan­ge­foch­tene, kon­sen­suelle Erkennt­nisse, Wah­rhei­ten und Nor­men, auf welche sich die heu­ti­gen Tole­ran­ten und ihre Exper­ten unabhän­gig von jegli­cher poli­ti­schen Ideo­lo­gie und jedem gesell­schaft­li­chen Sys­tem stüt­zen könn­ten ? Schwerlich.

Das Beseitigen der „inneren Feinde“

Die Idee der Demo­kra­tie, die Idee der Tole­ranz und der ratio­na­len Dis­kus­sion, die Idee einer „offe­nen“, im Gegen­satz zu einer „ges­chlos­se­nen“ Gesell­schaft bes­teht zum Teil gerade darin, dass die Viel­falt, die Ver­schie­den­heit und auch die Gegensätz­li­ch­keit der Gedan­ken und Über­zeu­gun­gen in gewalt­lo­sen Debat­ten und Ent­schei­dung­sfin­dun­gen, ohne Pis­to­len und Fäuste, ohne staat­liche und mediale Kne­bel aus­ge­tra­gen wer­den können.

Eine „ges­chlos­sene Gesell­schaft“ unter­schei­det sich, wenig­stens in Pop­pers Begrif­fen, von einer „offe­nen Gesell­schaft“ dadurch, dass ihre Mit­glie­der durch die Teil­nahme an „gemein­sa­men Ans­tren­gun­gen, gemein­sa­men Gefah­ren, gemein­sa­men Freu­den und gemein­sa­mem Unglück zusam­men­ge­hal­ten wer­den“ (Pop­per, 1975, S. 352).

Die ges­chlos­sene Gesell­schaft kenn­zeich­net sich dem­ge­genü­ber durch den Glau­ben an starre Tabus und deren Sank­tio­nen. In der offe­nen Gesell­schaft haben es die Men­schen gelernt „in gewis­sem Aus­maß den Tabus kri­tisch gegenü­ber­zus­te­hen und die Ent­schei­dun­gen (nach einer Dis­kus­sion) auf die Auto­rität ihrer eige­nen Intel­li­genz zu grün­den“ (a.a.o. S. 407).

Dem schei­nen die heu­ti­gen Kämp­fer für die frei­heit­liche Grun­dord­nung der Demo­kra­tie zu widers­pre­chen. Der Begriff des Tabus bezieht sich auf das, was nicht getan, nicht gesagt, nicht gedacht und nicht berührt wer­den darf. Tabus kenn­zeich­nen im poli­ti­schen Dis­kurs der ges­chlos­se­nen, also unde­mo­kra­ti­schen und into­le­ran­ten Gesell­schaft, die „Gren­zen des Han­delns, Redens und Den­kens“ (s. Mil­den­ber­ger & Schö­der, 2012).

Diese sys­te­ma­tische Praxis der Tabus­perre drückt sich am bevor­zugt im Aufrich­ten eines „Cor­don sani­raire“ aus. So haben die christ­ka­tho­li­schen Lin­ken im Sep­tem­ber 2023 „par­tei­po­li­tisch neu­tral“ und mit der For­de­rung nach einer „demo­kra­ti­schen Ver­fass­theit unse­rer Gesell­schaft“, erns­thaft und ohne jegli­chen Sinn für per­for­ma­tive Selbst­wi­ders­prüche, ein Plä­doyer gegen die Alter­na­tiv Demo­kra­tische Reform­par­tei (ADR) ver­fasst. Die­ser solle keine „Bühne“ mehr im Monats­blatt forum gege­ben wer­den, da sie gleich eine ganze Reihe von poli­ti­schen Tabu­brü­chen began­gen habe.

In der Aufzäh­lung der katho­li­schen Mora­lis­ten bes­te­hen diese Tabu­brüche unter ande­rem in einer „völ­kische Ideo­lo­gie“ mit vier­ma­li­ger Erwäh­nung des „Bevölkerungsaustausch“-Begriffs, die anschei­nende Mit­glied­schaft von „Bewunderer[n] des Drittes Reichs“, das anschei­nende Veröf­fent­li­chen von Hit­ler- und Holo­caust-Wit­zen auf sozia­len Medien, das „Männ­li­ch­keits­bild“, das dem Mus­so­li­nis und Putins (sic!) nahe­kommt, und die schein­ba­ren „Hass­re­den“ auf Frauen, LGBTQIA+-Personen, Flücht­linge, Mus­lime und Auslän­der im All­ge­mei­nen. Aber auch die Mit­glied­schaft der ADR in der Frak­tion der europäi­schen Kon­ser­va­ti­ven und Refor­mer im EU-Par­la­ment ist ein zwin­gen­der Grund, die ADR aus dem poli­ti­schen Dis­kurs auszuschließen.

Mit 5 Sit­zen im luxem­bur­gi­schen Par­la­ment und 9,27 % der Wäh­lers­tim­men (21‘445 von 231‘344 gül­ti­gen Stim­men) schließt das mora­lisch-publi­zis­tische Cor­don sani­taire somit nicht nur den poli­ti­schen Kran­kheit­ser­re­ger der rechts­po­pu­lis­ti­schen Par­tei aus ihren hei­li­gen Sei­ten aus, son­dern sie verord­net fast 10 % der Wäh­ler Luxem­burgs ein demo­kra­tisches Redeverbot.

Die demo­kra­ti­schen Unter­zeich­ner des Plä­doyers for­dern darü­ber hinaus, in tief­ster Ach­tung der Arti­kel 1, 2, 7, 18, 19 (Recht auf Mei­nung­sfrei­heit und freie Mei­nung­säuße­rung) und 21 (Mit­wir­ken an der Ges­tal­tung der öffent­li­chen Ange­le­gen­hei­ten seines Landes unmit­tel­bar oder durch frei gewählte Ver­tre­ter) der all­ge­mei­nen Men­schen­recht­serklä­rung, dass der demo­kra­tisch-frei­heit­lich Maul­kor­ber­lass nicht nur für Medien, son­dern auch für andere gewählte Par­teien gel­ten solle (auße­rhalb der gesetz­li­chen Gleich­be­hand­lung des Wahl­kampfs, s. Kalmes et al., S. 11).

Hier plä­die­ren die Christ­ka­tho­li­schen also nicht nur für ihre eigene lobens­werte poli­tische Moral, son­dern auch gegen die Arti­kel 23 (Mei­nung­sfrei­heit) und 27 (Plu­ra­lis­mus der poli­ti­schen Par­teien) der luxem­bur­gi­schen Ver­fas­sung. Mehr offene Gesell­schaft ver­fas­sung­swi­drige For­de­run­gen und Empfehlungen !

Mit dem Cor­don sani­taire wird das Para­dox der Demo­kra­tie also zur Anwei­sung der gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Dis­kri­mi­nie­rung, zur dis­kur­si­ven und prak­ti­schen Pola­ri­sie­rung sowie zur Aber­ken­nung der kons­ti­tu­tio­nel­len Mei­nungs– und Rede­frei­heit und des Rechts der Betei­li­gung am poli­tisch-demo­kra­ti­schen Pro­zess. Zwei­fel­sohne, alles für den guten Zweck.

Solche ver­fas­sung­swi­dri­gen Anwei­sun­gen sind selbs­tre­dend nur zum Schutz der wohl­wol­len­den, ein­heit­li­chen Tyran­nei eines erfun­de­nen poli­ti­schen All­ge­mei­nin­te­resses gedacht. Und sie glei­chen nur zufäl­lig den Kenn­zei­chen der unde­mo­kra­tisch ges­chlos­se­nen Gesell­schaft, die vor­ge­blich bekämpft wer­den sollte.

Weniger Demokratie wagen

Seit Covid war die mora­lische Linke des Tage­blatt ande­ren Mora­lis­ten immer einen Schritt voraus. Der dama­lige Che­fre­dak­teur ver­mochte es, ganz ohne Hass­rede und mit den bes­ten demo­kra­ti­schen Absich­ten, den Vor­sit­zen­den der ADR öffent­lich als „nie­der­träch­ti­gen Dreck­sack“ zu bezeichnen.

Es vers­teht sich dann fast von selbst, dass diese Linke sich noch einen Schritt wei­ter als die Katho­li­schen in den Gra­ben­krieg gegen die plu­ra­lis­tische Demo­kra­tie wagt.

Mit ihrer wis­sen­schaft­li­chen Exper­tin für Recht­sex­tre­mis­mus und Rechts­ra­di­ka­lis­mus for­dert das Tage­blatt über den Cor­don sani­taire hinaus die „weh­rhafte Demokratie“.

So gäbe es, folgt man der Exper­tin Léo­nie de Jonge beim Warm­lauf gegen die offene Gesell­schaft, ein großes Miss­verständ­nis bezü­glich des poli­ti­schen Cor­don sani­taire. Denn die­ser heiße nicht, dass man jeman­den zum Schwei­gen brin­gen würde. Demo­kra­tisch gewählte Volks­ver­tre­ter nicht zu veröf­fent­li­chen, ihnen nicht zuzuhö­ren und nicht mit ihnen in Par­la­men­ten zu dis­ku­tie­ren, ver­biete den so Aus­ges­chlos­se­nen nicht zu reden. Sie dür­fen so viel reden, wie sie möch­ten, aller­dings sollte nie­mand ihnen zuhö­ren und vor allem nie­mand darauf antworten.

Der Cor­don sani­taire, so die Extre­mis­mus­wis­sen­schaft­le­rin, bes­ch­neide ja nur die der­zeit noch ver­fas­sung­sgemäße Mei­nung­sfrei­heit der gewähl­ten Volks­ver­tre­ter und deren Wäh­ler. Das bekannte poli­tische Hygie­ne­prin­zip Jean-Louis Bar­raults fin­det bei Cor­don sani­taire Anwen­dung auf die rech­ten Bazillen : „La dic­ta­ture, c’est ‘ferme ta gueule’ ; la démo­cra­tie, c’est ‘cause tou­jours.“

Es ist, so die Exper­tin des Tage­blatts, vonnö­ten, dass sich die Demo­kra­tie gegen ihre „inne­ren Feinde“ wehrt. Und aus der wert­neu­tra­len wis­sen­schaft­li­chen For­schung (sic!, de Jonge & Dörr, 2023) wis­sen wir, „dass eine Kom­bi­na­tion aus Stra­te­gien wir­ken kann“, die inne­ren Feinde zu iso­lie­ren und demo­kra­tisch auszumerzen.

Der Cor­don sani­taire ist jedoch nur eine der Waf­fen gegen die vom Volk demo­kra­tisch gewähl­ten Feinde. Denn die par­la­men­ta­rische Oppo­si­tion ist für die mora­lische Linke läng­st nicht mehr poli­ti­scher Gegner, son­dern zu besei­ti­gen­der Feind.

Die mora­lisch-wis­sen­schaft­liche linke Abwehr gegen Rechts­po­pu­lis­ten weiß, dass jeder „reli­giöse, mora­lische, öko­no­mische, eth­nische oder andere Gegen­satz […] sich in einen poli­ti­schen Gegen­satz [ver­wan­delt], wenn er stark genug ist, die Men­schen nach Freund und Feind effek­tiv zu grup­pie­ren“ (Schmitt, 1991, S. 37).

Wie wäh­rend den Covid-Zei­ten, weiß das Tage­blatt wie­der im geis­ti­gen Zusam­men­schluss von Wis­sen­schaft und ein­heit­li­cher poli­ti­schen Wah­rheit, dass jede wirk­liche Demo­kra­tie darauf „beruht […], dass nicht nur Gleiches gleich, son­dern, mit unver­meid­li­cher Kon­se­quenz, das Nicht-gleiche nicht gleich behan­delt wird. Zur Demo­kra­tie gehört also not­wen­dig ers­tens Homo­ge­nität und zwei­tens – nöti­gen­falls die Aus­schei­dung oder Ver­nich­tung des Hete­ro­ge­nen“ (Schmitt, 2017, S. 14).

Demo­kra­tisch sou­verän ist also, wer die staat­li­chen Feinde bes­timmt. Und zur Bes­tim­mung der inne­ren Feinde ist nichts bes­ser geei­gnet als die Eti­ket­tie­rung mit schwam­mi­gen Begrif­fen, die sich kla­ren Gren­zen ent­zie­hen und deshalb im poli­ti­schen Macht­kampf mit unter­schied­li­chen Bedeu­tun­gen und emo­tio­na­len Gehal­ten aufla­den wer­den können.

Feinde sind aber im Prin­zip immer die Ande­ren : die nicht glei­chen, die nicht homo­ge­ni­sier­ten, sei es auf­grund von eth­ni­schen, reli­giö­sen, mora­li­schen, ideo­lo­gi­schen, wirt­schaft­li­chen oder poli­ti­schen Gegensätzen.

Wäh­rend die offene Gesell­schaft solche Diver­sität und Plu­ra­lität der Anders­den­ken­den auf der Ebene der ratio­na­len Debatte, oder wenig­stens der in regelmäßi­gen Abstän­den statt­fin­den­den Wah­len aushan­delt, greift die neue ges­chlos­sene Demo­kra­tie der Lin­ken, genau­so wie die miss­billigte Rechte, auf die „Zähne“ (de Jonge) der weh­rhaf­ten Demo­kra­tie zurück.

Da solche „Zähne“ aber weni­ger zum Reden als zum Beißen gemeint sind, darf auch die „demo­kra­tische“ Aus­schal­tung der Anders­den­ken­den sich nicht auf den allei­ni­gen mediale und poli­tische Eli­mi­nie­rung aus der demo­kra­ti­schen Debatte begren­zen. Mit Zäh­nen und Kral­len, und einer Kom­bi­na­tion von andren wis­sen­schaft­lich erprob­ten Stra­te­gien, warum nicht mit Fäus­ten und Pis­to­len, sol­len die Rechts­po­pu­lis­ten und andere Gegner der Demo­kra­tie und des europäi­schen Eini­gung­spro­zesses aus­ge­son­dert werden.

Wer ent­schei­det also hier über Freund und Feind der Demo­kra­tie ? Wer ent­schie­det darü­ber, was Frei­heit, was Tole­ranz und was Demo­kra­tie bedeu­ten ? Die­je­ni­gen, die in Namen der Demo­kra­tie am stärks­ten zubeißen !

Man wird bemerkt haben, dass solche Foka­li­sie­rung auf ver­meint­liche Demo­kra­tie­feinde und auf poli­tische Par­teien einen schein­ba­ren Neben­dars­tel­ler aus dem Demo­kra­tie­be­griff aus­schließt : das Volk. Wer­den Par­teien nicht von Bür­gern gewählt ? Sind Par­teien nicht dem Begriff nach poli­tische Verbände, die der Inter­es­se­nar­ti­ku­la­tion und Inter­es­se­nag­gre­ga­tion von Bür­gen dienen sollten ?

Dass Bür­ger und deren Belange in sol­chen wis­sen­schaft­li­chen Ana­ly­sen nicht vor­kom­men, ist kein Zufall. For­schun­gen wie die von Richard Sen­nett, Tho­mas Frank oder Arlie Hoch­schild, die dem Phä­no­men des Popu­lis­mus aus der Pers­pek­tive der vers­te­hen­den Sozio­lo­gie von enttäu­sch­ten, getäu­sch­ten, ver­letz­ten und gekränk­ten Men­schen nach­ge­hen, sind den Eli­te­wis­sen­schaf­ten eben­so fremd, wie sie es hera­blas­sen­den Poli­ti­kern und Jour­na­lis­ten je waren. Folgte man aus die­ser Sicht den inak­zep­ta­blen Wah­lent­schei­dun­gen des unk­lu­gen, uni­for­mier­ten und mani­pu­lier­ba­ren Volkes, wären die Gren­zen der Tole­ranz und der Frei­heit schon lange überschritten.

Damit die Demo­kra­tie sich erhalte, kann sie fol­glich nur auf die mora­lische Vor­mund­schaft gesell­schaft­li­cher Eli­ten gegrün­det wer­den, die mit einer Kom­bi­na­tion aus wis­sen­schaft­li­chen und medien­po­li­ti­schen Stra­te­gien die unerwün­schte Plu­ra­lität auf eine ein­heit­liche Linie bringen.

Wis­sen­schaft soll dann auch nicht dazu bei­tra­gen, Fra­gen über die Funk­tion und die Legi­ti­mität der Beein­flus­sung, der Mani­pu­la­tion und Indok­tri­na­tion in der Demo­kra­tie zu klä­ren. Sie soll vor­nehm­lich dazu dienen, die effi­zien­tes­ten Ant­wor­ten auf die Bedürf­nisse der staat­li­chen und pri­va­ten Inves­to­ren zu lie­fern. Poli­tik­wis­sen­schaf­ten, Sozio­lo­gie und Psy­cho­lo­gie wer­den ents­pre­chend auf die tech­ni­schen Lösun­gen eines Social Engi­nee­ring herun­ter­ge­fah­ren, das prak­tische Gebrauch­san­lei­tun­gen zur erwün­sch­ten Mei­nungs- und Hand­lung­so­rien­tie­rung des unmün­di­gen Volkes lie­fern soll.

Die „weh­rhafte Demo­kra­tie“ erscheint nun als das, was sie ihrem Wesen nach sein soll : als Machts­tra­te­gie derer, die das Volk zwar ver­tre­ten, aber den­noch mit Verach­tung davon abhal­ten möchte, sich selbst zu regieren.

Literatur

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