Der Begriff „rechtsextrem“ als Problem journalistischer Ethik

(Image par Andrys Stienstra de Pixabay)

Zuerst erschie­nen am 8. Juni 2025 im Luxem­bur­ger Wort

In einer demo­kra­ti­schen Öffent­li­ch­keit ist die Sprache der Presse nicht nur ein Ins­tru­ment zur Ver­mit­tlung von Fak­ten und unanz­wei­fel­ba­ren „Wah­rhei­ten“. Mei­nung­sfrei­heit umfasst zwang­släu­fig auch Posi­tio­nen, die sich als „falsch“ erwei­sen kön­nen, nicht zuletzt, weil sich poli­tische, öko­no­mische und soziale Zusam­menhänge in der Regel nur durch kon­kur­rie­rende, unter­schied­lich fun­dierte Inter­pre­ta­tio­nen erschließen lassen.

Die Sprache der Presse ist vor allem aber auch selbst ein Teil der Wirk­li­ch­keit, die sie bes­chreibt. Beson­ders in poli­tisch auf­ge­la­de­nen Debat­ten scheint es zur Norm gewor­den zu sein, dass bes­timmte Begriffe in der jour­na­lis­ti­schen Berich­ters­tat­tung nicht als bes­chrei­bende Kate­go­rien ver­wen­det wer­den, son­dern als dis­kur­sive Urteile. Darun­ter sind vor allem Begriffe wie „recht­sex­trem“, „popu­lis­tisch“ oder „Ver­schwö­rung­stheo­re­ti­ker“ zu zäh­len, die nicht so sehr der Aufklä­rung oder der Infor­ma­tion dienen, als der Dis­qua­li­fi­zie­rung von poli­tisch unerwün­sch­ter Oppo­si­tion. Dienen soge­nannte jour­na­lis­tische „Brand­mauern“ primär der Dis­qua­li­fi­ka­tion legi­ti­mer demo­kra­ti­scher Oppo­si­tion, so wer­den sie nicht zu Boll­wer­ken der (weh­rhaf­ten) Demo­kra­tie, son­dern zu Ins­tru­men­ten ihrer Abschaffung.

Der Begriff als Etikett

Der Aus­druck „recht­sex­trem“ ist in media­len Kon­tex­ten zu einem eti­ket­tie­ren­den Kampf­be­griff gewor­den. In Erman­ge­lung kla­rer Defi­ni­tio­nen, über­prüf­ba­rer Kri­te­rien und einer nach­voll­zieh­ba­ren Argu­men­ta­tion steht das Urteil vor der Ana­lyse bereits fest – ein Umstand, den auch die selek­tive Beru­fung auf wis­sen­schaft­liche Auto­rität nicht zu rela­ti­vie­ren vermag.

Diese Form der Begriff­snut­zung hat Fol­gen : Sie ersetzt eine poli­tische Ausei­nan­der­set­zung durch mora­lische Mar­kie­rung. Wer als „recht­sex­trem“ benannt wird, steht nicht mehr zur Debatte, son­dern auße­rhalb der Debatte.

Selbst­verständ­lich gibt es tatsä­chli­chen Recht­sex­tre­mis­mus in Euro­pa. Aber die öffent­liche Wir­kung eines Begriffs hängt nicht nur von sei­ner fak­ti­schen Ange­mes­sen­heit ab, son­dern auch von sei­ner dis­kur­si­ven Funk­tion. Und diese Funk­tion ist in den bes­chrie­be­nen Fäl­len nicht ana­ly­tisch, son­dern strikt nor­ma­tiv, abwer­tend. Der Begriff wird hier all­ge­mein zum abwer­ten­den Urteil. Dies unter­gräbt nicht nur die Qua­lität der öffent­li­chen Debatte und die Glaubwür­dig­keit des Jour­na­lis­mus, son­dern führt letzt­lich zu einer Kurz­schließung des demo­kra­ti­schen Meinungsaustauschs.

Journalistische Ethik im luxemburgischen Kontext

Der luxem­bur­gische „Code de déon­to­lo­gie jour­na­lis­tique defi­niert die Rolle der Medien klar : Der Jour­na­lis­mus soll den Bür­ge­rin­nen und Bür­gern eine faire, vielfäl­tige und wah­rheits­gemäße Infor­ma­tion bereits­tel­len, den demo­kra­ti­schen Dis­kurs ermö­gli­chen und die Voraus­set­zun­gen für kri­tische Urteils­kraft schaf­fen. Zen­trale Werte sind dabei Unpar­tei­li­ch­keit, Trans­pa­renz, und das Prin­zip der Tren­nung zwi­schen Nachricht und Meinung.

Wortwört­lich heißt es dort : „Diese Frei­heit, die ohne Ein­schrän­kun­gen, ohne Druck und ohne Zen­sur aus­geübt wer­den muss, ist eine der unver­zicht­ba­ren Säu­len jeder demo­kra­ti­schen Gesellschaft.“

Wenn jedoch Begriffe wie „recht­sex­trem“ ohne argu­men­ta­tive Unterfüt­te­rung ver­wen­det wer­den, wird diese Unter­schei­dung zwi­schen Fakt und Urteil unscharf. Die Öffent­li­ch­keit kann nicht mehr erken­nen, ob es sich um eine ana­ly­tisch begrün­dete Ein­schät­zung han­delt, oder um eine poli­tische Posi­tio­nie­rung. Deshalb bes­teht die jour­na­lis­tische Verant­wor­tung darin, diese Grenze nicht zu verwischen.

Sprache ist nie neu­tral. Wenn der Jour­na­lis­mus sich unkri­tisch die­ser dis­kur­si­ven Ver­wi­schung bedient, läuft er Gefahr, seine eigene Funk­tion als Aufklä­rer auf­zu­ge­ben. Dann wird aus jour­na­lis­ti­scher Ana­lyse poli­tische Einord­nung und aus demo­kra­ti­scher Kri­tik mora­lisches Tribunat.

Die Funktion der Presse in der Demokratie

Die Presse erfüllt in einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft drei Haupt­funk­tio­nen : ers­tens die Infor­ma­tions­funk­tion, zwei­tens die Kon­troll­funk­tion, drit­tens die Arti­ku­la­tions­funk­tion. Das bedeu­tet, dass die Presse über rele­vante Ent­wi­ck­lun­gen infor­miert, die Macht über­wacht und ver­schie­de­nen gesell­schaft­li­chen Posi­tio­nen eine Stimme gibt.

Wenn diese Funk­tio­nen durch mora­lisch auf­ge­la­dene Begriffe und Dis­kurss­teue­rung ersetzt wer­den, ver­liert der Jour­na­lis­mus seine demo­kra­tische Qua­lität. Wer eine demo­kra­tisch gewählte Par­tei nicht mehr sachlich kri­ti­siert, son­dern sie pau­schal eti­ket­tiert oder aus­grenzt, gefähr­det den poli­ti­schen Plu­ra­lis­mus. Auch unbe­queme Stim­men sind legi­ti­mer Aus­druck des Wäh­ler­willens. Ihre sys­te­ma­tische Aus­gren­zung durch Brand­mauern der Gesin­nung schwächt die demo­kra­tische Debattenkultur. 

Brand­mauern der Gesin­nung mögen als mora­lisches Boll­werk erschei­nen, doch in Wah­rheit verhin­dern sie die demo­kra­tische Ausei­nan­der­set­zung. Eine leben­dige Demo­kra­tie benö­tigt keine Aus­gren­zung, son­dern kri­ti­schen Dis­kurs ; auch mit jenen, deren Ansich­ten man ent­schie­den ablehnt. Sonst wird der Jour­na­lis­mus selbst Teil der poli­ti­schen Pola­ri­sie­rung, die er anpran­gert, ans­tatt sie zu reflektieren.