Luxemburgs Zeitenwende

Eigent­lich zählte Luxem­burg län­gere Zeit zu den Schluss­lich­tern der finan­ziel­len NATO-Mitar­beit. Mit einem Bei­trag von 0,54% des Ver­tei­di­gung­sbud­gets war Luxem­burg tatsä­chlich der letzt­plat­zierte Mit­glied­ss­taat. Das Land wid­mete dem Nor­dat­lan­tik­ver­trag nur die pro­zen­tuale Hälfte von Spa­nien und Bel­gien, die in die­ser Hin­sicht an zweit- und drit­tletz­ter Posi­tion zu fin­den sind.
Das soll sich aber jetzt mit der rot-libe­ral-grü­nen Koa­li­tion unter der Lei­tung des grü­nen Ver­tei­di­gung­smi­nis­ters Fran­çois Bausch ändern. Im Februar 2022, als der Ukrai­ne­krieg dem Virus die mediale Auf­merk­sam­keit abnahm, ers­tand das luxem­bur­gische Ver­tei­di­gung­smi­nis­te­rium für 200 Mil­lio­nen Satel­li­ten­ka­pa­zitä­ten.1

Laut RTL ges­chah dies als „Zei­chen der Soli­da­rität mit der NATO“, aber auch gegen den rus­si­schen Angriff­skrieg. Diese Anschaf­fung, so RTL wei­ter, sollte nicht mit dem Kauf der Militär-Satel­li­ten LUXEO­Sys von 2018 ver­wech­selt wer­den, für den das Ver­tei­di­gung­smi­nis­te­rium bereits 309 Mil­lio­nen, ans­tatt der urs­prün­glich geplan­ten 107 Mil­lio­nen Euro aus­gab.2

Nach dem 200 Mil­lio­nen NATO-Soli­da­ritäts­kauf im Februar teilte der Ver­tei­di­gung­smi­nis­ter im März stolz mit, dass die ame­ri­ka­nische Toch­ter­ge­sell­schaft des luxem­bur­gi­schen Satel­li­ten­be­trei­bers SES den Satel­li­ten­be­reich des Rüs­tungs­kon­zerns Leo­nar­do SPA für wei­tere 450 Mil­lio­nen erwor­ben habe. Inter­es­san­ter­weise steht die­ser Rüs­tungs­kon­zern wegen sei­ner umstrit­te­nen Waf­fe­nak­ti­vitä­ten auf der schwar­zen Liste der Inves­ti­tio­nen des luxem­bur­gi­schen Pen­sions­fonds.3

Die Hers­tel­lung von Streu­bom­ben, die die Fir­ma für den Pen­sions­fonds als untrag­bar schei­nen ließen, stö­ren jedoch die Ver­tei­di­gung­spo­li­tik nicht. In der Ver­tei­di­gung gilt wohl noch immer die bekannte For­mel des ame­ri­ka­ni­schen Gene­rals Charles Nimitz von 1947, dass keine wirk­same Waffe je als ille­gal galt.

So zäh­len dann die 94 Mil­lio­nen Dol­lar, die das Ver­tei­di­gung­smi­nis­te­rium dieses Jahr für Rake­ten aus der Sow­jetä­ra, wie­der aus Soli­da­rität mit der NATO aus­gab, nur noch als Klein­geld. Denn im Juni 2022 vers­prach der luxem­bur­gische Trans­port- und Ver­tei­di­gung­smi­nis­ter, dass Luxem­burg bis im Jahr 2028 eine Mil­liarde Dol­lar in die Ver­tei­di­gung inves­tie­ren werde.4 So viel Soli­da­rität und finan­zielle Begeis­te­rung soll­ten selbst­verständ­lich von der NATO nicht unbe­merkt bleiben.

Im ver­gan­ge­nen Jahr hatte auch der libe­rale Pre­mier­mi­nis­ter Xavier Bet­tel schon darauf hin­ge­wie­sen, dass die NATO unsere beste Garan­tie für ein Leben in Frie­den und Siche­rheit sei. Ganz im Sinne dieses Frie­dens und die­ser Siche­rheit, so Jens Stol­ten­berg und Fran­çois Bausch im Juni, wird der erste mul­ti­na­tio­nale NATO-Invest­ment- und Inno­va­tions­fonds – eine wei­tere Mil­liarde Dol­lar, die für die Rüs­tungs­in­dus­trie – jetzt sei­nen Sitz in Luxem­burg haben.

Die Ver­wal­tungs­ge­sell­schaft des Fonds wird in den Nie­der­lan­den beher­bergt sein und die Regu­lie­rung des Fonds wird dann wie­der von der luxem­bur­gi­schen Finanz-Auf­sichts­behörde gewähr­leis­tet. Dass die Domi­zi­lie­rung und die Ver­wal­tung des Fonds geo­gra­fisch getrennt seien, erklärte das Ver­tei­di­gung­smi­nis­te­rium dem Luxem­bur­ger Wort, ist eine geläu­fige Praxis der Vermö­gens­ver­wal­tungs­branche.5 Damit kennt sich in Luxem­burg bes­tens aus.

In Kon­kur­renz mit Russ­land und Chi­na wird Luxem­burg jetzt einer der Haupt­spie­ler des mul­tis­taat­li­chen Risi­ko­ka­pi­tal­fonds bezü­glich Siche­rheit und Frei­heit. Oder, wie es der bele­sene Jour­na­list der Web­sei­ten Les fron­ta­liers aus­ge­drückt : Wer den Frie­den möchte, muss den Krieg vor­be­rei­ten. Anders gesagt : Wer Frie­den und Siche­rheit möchte, der inves­tiere Mil­liar­den in den Krieg.

Kon­kret heißt das, in gut luxem­bur­gi­scher Manier : Der Risi­ko­ka­pi­tal­fonds inves­tiert in pri­vate Start-ups, die mithilfe von fort­ges­chrit­te­nen Tech­no­lo­gien im Bereich des Nachrich­ten­diensts, der Über­wa­chung, der Cyber­si­che­rheit, des Wel­traums und der künst­li­chen Intel­li­genz soli­da­risch am Frie­den for­schen wer­den, und so dem luxem­bur­gi­schen Staat und der Wirt­schaft nach­hal­tige Ein­nah­men garan­tie­ren werden.

Selbst­verständ­lich darf die Umwelt bei einem sol­chen Groß­pro­jekt nicht zu kurz kom­men. 2022 erklärte der grüne Ver­tei­di­gung­smi­nis­ter in die­ser Hin­sicht, dass die Solar­droh­nen, an denen jetzt in Luxem­burg für das Penta­gon6 gefor­scht wird, dazu bei­tra­gen wer­den, die CO₂ Emis­sio­nen der Trup­pen­be­we­gun­gen zu reduzieren.

Damit steht dann nach Deut­schland auch für Luxem­burg eine „Zei­ten­wende“ bevor. Auch Luxem­burg nimmt die neuen Heraus­for­de­run­gen der NATO ent­schlos­sen und nüch­tern an : mit Risi­ko­ka­pi­tal und inno­va­ti­ven Start-ups, die dank den krea­ti­ven Kons­truk­tio­nen aus der Vermö­gens­ver­wal­tungs­branche, militä­ri­schen Frie­den, über­wachte Siche­rheit, und den inter­na­tio­na­len militä­risch-indus­triel­len Kom­plex zu neuem Wachs­tum verhel­fen werden.

Am 24. Februar 2022 sprach der deutsche Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz in sei­ner Regie­rung­serklä­rung von einer Zei­ten­wende für Deut­schland und die west­li­chen Staa­ten : „Was für die Siche­rung des Frie­dens in Euro­pa gebraucht wird, das wird getan.“ Auch in Luxem­burg. Und die Kon­se­quen­zen, die unsere Zei­ten­wende auf die luxem­bur­gische Wirt­schafts- und For­schung­spo­li­tik haben wird, dürf­ten schwer zu über­schät­zen sein.

Wir kön­nen uns indes voraus­se­hen, dass auch die kleine luxem­bur­gische Uni­ver­sität mit ihren öffent­lich-pri­va­ten Part­ner­schaf­ten in Sta­ke­hol­der-Kapi­ta­lis­mus Manier blü­hende Rüs­tungs­for­schung vor sich haben wird.7 Zumal der Vor­sit­zende des Ver­wal­tungs­rats der Uni­ver­sität und ehe­ma­lige SES-Gene­ral­se­kretär, Mar­ke­ting­di­rek­tor und SES-Senior-Vize­prä­sident für europäische Breit­band­pro­jekte haupt­be­ru­flich selbst Inha­ber und CEO einer „100% luxem­bur­gi­schen“ Tech­no­lo­gie­fir­ma in der Satel­li­ten­branche ist, die bereits Hand in Hand mit der SES arbei­tet.
Aber die NATO-Soli­da­rität dürfte auch lange vor der Uni­ver­sität begin­nen. In den 60er und 70er-Jah­ren berei­te­ten die Grund- und Pri­mar­schu­len die luxem­bur­gi­schen und auslän­di­schen Schü­ler mithilfe des Bil­dung­smi­nis­te­riums auf die Berufe des Stahl­kon­zerns ARBED aus. 

Dank der deut­schen Alpha­be­ti­sie­rung konnte man damals die ita­lie­ni­schen und por­tu­gie­si­schen Ein­wan­de­rer­kin­der unauffäl­lig aus den Gym­na­sien fern­hal­ten und dem­zu­folge vom Stu­dium abhal­ten. Ita­lie­ner und Por­tu­gie­sen kamen als Hand­wer­ker auf die ARBED, luxem­bur­gische Kin­der als Inge­nieure.
In der Tra­di­tion die­ser stra­te­gi­schen Bil­dung­spo­li­tik möchte man fast glau­ben, dass die große Grund­schul­re­form des libe­ra­len Bil­dung­smi­nis­ters Claude Meisch von 2020/21 das Pro­jekt der Kodie­rungs-Schule nicht nur aus Moder­ni­sie­rung­sans­pruch ein­geführt wurde.

Dieses Pro­jekt sieht näm­lich vor, dass Kin­der ab dem Grund­schu­lal­ter vor­ran­gig im infor­ma­ti­schen Pro­blemlö­sung­sden­ken erzo­gen wer­den sol­len. Com­pu­ter und infor­ma­tisches Pro­blemlö­sen dienen die­ser Poli­tik als Modelle des Den­kens übe­rhaupt. Schü­ler sol­len inso­fern nicht an eigenstän­diges oder kri­tisches Den­ken gewöhnt wer­den, son­dern ler­nen „wie digi­tale Geräte über­le­gen und üben, Hand­lung­san­wei­sun­gen für digi­tale Geräte, auch Algo­rith­men genannt, selbst auf­zu­set­zen“.8 Damit wer­den luxem­bur­gische Kin­der nicht nur für die Finanz­branche tau­glich gemacht, son­dern wer­den sich auch in sich der zukünf­ti­gen NATO-For­schung über Cyber­si­che­rheit und künst­li­chen Intel­li­genz schnell zu Hause fühlen.

Mit die­sen Mil­liar­de­nin­ves­ti­tio­nen könnte man glau­ben, dass die luxem­bur­gische Poli­tik noch kurz vor den Wah­len das Land in eine neue Rich­tung lenkt. Genau­so wie die verstärkte Ent­wi­ck­lung des Finanz­sek­tors in den spä­ten 70er und frü­hen 80er9 das Land wirt­schaft­lich vor der Rezes­sion der Metal­lur­giein­dus­trie ret­tete, könnte der Über­gang zur High­tech-Militä­rin­dus­trie die Finan­zin­dus­trie vor zukünf­ti­gen Kri­sen schützen.

Dass aber eine solche Umo­rien­tie­rung der Wirtschafts‑, Ver­tei­di­gungs- und For­schung­spo­li­tik ohne größere Debat­ten im Par­la­ment aus­kommt – imme­rhin kann die Koa­li­tion seit 10 Jah­ren ihre Haup­tan­lie­gen sys­te­ma­tisch mit 31 zu 29 Stim­men gegen die Oppo­si­tion zur Gel­tung brin­gen – ist genau­so über­ra­schend wie das ohren­betäu­bende Schwei­gen der Medien.

Literatur

  1. „Defence Minis­try Signs Deal to Sup­port Solar Drone Deve­lop­ment“. Abge­ru­fen 4. April 2023 (https://​dela​no​.lu/​a​r​t​i​c​l​e​/​d​e​f​e​n​c​e​-​m​i​n​i​s​t​r​y​-​s​i​g​n​s​-​a​g​r​e​eme)
  2. „Minis­try of Defence : Luxem­bourg Pur­chases Satel­lite Capa­ci­ties for Near­ly €200 Mil­lion“. Abge­ru­fen 4. April 2023. (https://​today​.rtl​.lu/​n​e​w​s​/​l​u​x​e​m​b​o​u​r​g​/​a​/​2​0​3​3​4​5​0​.​h​tml).
  3. Para­chi­ni, Alexan­dra. „L’État accu­sé d’investir dans la pro­duc­tion d’armes à sous-muni­tions“. Abge­ru­fen 4. April 2023 (https://​lequo​ti​dien​.lu/​p​o​l​i​t​i​q​u​e​-​s​o​c​i​e​t​e​/​l​e​t​a​t​-​a​c​c​u​s​e​-​d​i​n​v​e​s​t​i​r​-​d​a​n​s​-​l​a​-​p​r​o​d​u​c​t​i​o​n​-​d​a​r​m​e​s​-​a​-​s​o​u​s​-​m​u​n​i​t​i​o​ns/).
  4. „Un mil­liard d’euros pour la Défense d’ici 2028“. Abge­ru­fen 4. April 2023 (https://​paper​jam​.lu/​a​r​t​i​c​l​e​/​m​i​l​l​i​a​r​d​-​e​u​r​o​s​-​d​e​f​e​n​s​e​-​i​c​i​-​202).
  5. „Le fonds pour l’innovation de l’OTAN sera bien domi­ci­lié au Luxem­bourg“. Vir­gule. Abge­ru­fen 4. April 2023 (https://​www​.wort​.lu/​f​r​/​l​u​x​e​m​b​o​u​r​g​/​l​e​-​f​o​n​d​s​-​p​o​u​r​-​l​-​i​n​n​o​v​a​t​i​o​n​-​d​e​-​l​-​o​t​a​n​-​s​e​r​a​-​b​i​e​n​-​d​o​m​i​c​i​l​i​e​-​a​u​-​l​u​x​e​m​b​o​u​r​g​-​6​4​1​9​8​c​6​6​d​e​1​3​5​b​9​2​3​6​7​4​f​e5b).
    [6]
  6. Zur Ver­bin­dung der SES mit dem Penta­gon, s.: Dale­sio, Eme­ry. 2022. „Luxembourg’s SES Cla­ri­fies Ties to US Mili­ta­ry“. Luxem­bourg Times. Abge­ru­fen 5. April 2023 (https://​www​.lux​times​.lu/​e​n​/​b​u​s​i​n​e​s​s​-​f​i​n​a​n​c​e​/​l​u​x​e​m​b​o​u​r​g​-​s​-​s​e​s​-​c​l​a​r​i​f​i​e​s​-​t​i​e​s​-​t​o​-​u​s​-​m​i​l​i​t​a​r​y​-​6​3​9​2​1​0​7​4​d​e​1​3​5​b​9​2​3​6​b​9​d​d37).
  7. Das Vorha­ben ließ nicht lange auf sich war­ten. Am 25. und 26. April 2023 verans­tal­tete die Uni­ver­sität Luxem­burg eine erste inter­na­tio­nale Kon­fe­renz über die For­schung von auto­no­men Waf­fen­sys­te­men. Siehe : https://​www​.laws​-confe​rence​.lu/ .
  8. Siehe : https://​www​.edu​co​ding​.lu/​fr/
  9. S. Maje­rus, Benoit. 2021. „La Com­merz­bank Au Luxem­bourg (1969 – 2024)“. Note­book. Abge­ru­fen 5. April 2023 (https://​maje​rus​.hypo​theses​.org/​1​390).

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